Nach sechs Vorstellungen in Duisburg präsentierte das Ballett am Rhein am 22. Mai 2015 im Opernhaus die Düsseldorfer Premiere der Ballettproduktion b.22.
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Martin Schläpfer: verwundert seyn – zu sehn | Marcos Menha, Ann-Kathrin Adam | FOTO © Gert Weigelt |
Es ist ein trotz fehlendem Orchester ein kraftvoller Ballettabend. Martin Schläpfer, Ballettdirektor an der Deutschen Oper am Rhein, verzichtet bei dieser Produktion auf den großen Sound. Eigentlich wollte er ganz auf Live-Musik verzichten und auf CD-Einspielungen zurückgreifen, aber das war ihm dann wohl doch nicht ganz geheuer. Bei der Gestaltung des Abends stand zunächst das Mittelstück fest: Jerome Robbins' „Moves – A Ballet in Silence“ kommt ganz ohne Musik aus. Für seine neue Choreographie „verwundert seyn – zu sehn“ wählte Schläpfer Klaviermusik von Franz Liszt und Alexander Skrjabin aus und übertrug dem Pianisten Denys Proshayev die musikalische Begleitung. Für sein Tanzstück „ein Wald, ein See“ aus dem Jahre 2006 hatte der Musiker Paul Pavey den Klangteppich komponiert, der ebenfalls live gespielt wurde.
Verwundert seyn – zu sehn
Zu Beginn scheint es, als habe man sich in ein homoerotisches Stück verirrt. Tänzer Marcos Menha und sein Gegenpart Chidozie Nzerem treffen heftigst aufeinander, bis Tänzerin Ann-Kathrin Adam
dazwischenfunkt. Martin Schläpfer hat das Ballett als einen inneren Monolog für einen einzigen Akteur (Marcos Menha) angelegt, eingebettet in eine Choreographie für 15 Tänzer_innen. Er führt in
eine von psychischen Zuständen und menschlichen Fragestellungen geprägte Bildwelt: „ins Dickicht des Menschseins, ins Labyrinth der Feinverästelungen unserer Sinneswahrnehmungen“, so der
Choreograph. Die Szenerie ist düster, ein stetig wachsender Mond mit tiefschwarzen Flecken dominiert den Hintergrund. Die Musik ist beileibe nicht einfach: Franz Liszts Grande Valse di bravura
„Le bal de Berne“ stehen Alexander Skrjabins Klaviersonaten Nr. 6 und 10 gegenüber. Die intensivsten Momente sind dann auch jene ohne Musik.
Moves – A Ballet in Silence
Jerome Robbins, der mit seinen 66 Choreographien und seinen Arbeiten für den Broadway zu den wichtigsten amerikanischen Choreographen des 20. Jahrhunderts zählt, integriert Elemente des Modern
Dance, ohne auf die Virtuosität und Technik des klassischen Balletts zu verzichten. In seinem Stück „Moves“ bleibt es still, von einigen Stampf- oder Klatschgeräuschen einmal abgesehen.
Unterteilt in mehrere Abschnitte schafft Robbins faszinierende Tanzsequenzen für insgesamt 12 Tänzer_innen. Großes Kino.
ein Wald, ein See
Martin Schläpfers Stück „ein Wald, ein See“, das er 2006 für das Ballett am Staatstheater Mainz entwickelte, führt in eine archaische Welt voll wilder und poetischer Dunkelheit. Leicht
geschwungene Metallstangen hängen waagerecht von der Bühnendecke, auf einer von ihnen sitzt ein Uhu. Auch diese Szenerie ist düster. Die Bewegungen der 19 Tänzer_innen sorgen im Zusammenspiel mit
den Klängen von Paul Pavey für eine mystische bis gruselige Atmosphäre. Doch es gibt auch schräge Elemente, wie die Jogger, die sich gegen Ende des Stücks über die Bühne schleppen, bevor zum
Schluss ein meditativer Moment schier endlos wird.
Ein außergewöhnlicher Ballettabend.
Rezension vom 30.05.2015
b.22 im Opernhaus Düsseldorf: weitere Vorstellungen am Mittwoch, 03.06. / Samstag, 06.06. / Dienstag, 23.06. – jeweils um 19.30 Uhr
www.operamrhein.de