Der Roman „Doktor Hirschfelds Patient“ von Nicolas Verdan verknüpft gekonnt eine spannende Krimihandlung mit zeitgeschichtlichen Hintergründen. Im Fokus: Die Patientenliste von Dr. Magnus Hirschfeld, dem Pionier der Schwulenbewegung.
Der Roman „Doktor Hirschfelds Patient“ handelt von der Patientenliste des Arztes und Sexologen Magnus Hirschfeld (1868-1935), der 1919 in Berlin das Institut für Sexualwissenschaft gründete. Hier behandelte er bis Anfang der 1930er-Jahre Menschen, die wegen ihres Andersseins Probleme mit ihrer Identität hatten. Hirschfeld nahm ihnen ihre Ängste und konstatierte, dass Homosexualität etwas ganz Normales sei. Er prägte den Begriff des „dritten Geschlechts“ und kämpfte aktiv gegen den Paragrafen 175, der Homosexualität unter Strafe stellte. 1931 floh Magnus Hirschfeld vor dem beginnenden Naziterror ins Ausland. Am 6. Mai 1933 wurde sein Berliner Institut von NS-Studenten geplündert und zerstört.
Der Schweizer Nicolas Verdan baut seinen Roman um Hirschfelds Wirken herum auf. Im Fokus steht Hirschfelds Patientenliste. Denn unter den zahlreichen Patienten waren auch Nazis.
Der fiktive SS-Mann Wilfried Blume hat in den 1920er-Jahren Hilfe bei Dr. Hirschfeld gesucht. Obwohl dieser ihm die Normalität seiner Veranlagung aufzeigen wollte, verfolgt er als überzeugter
Nazi später die Homosexuellen umso heftiger, als er seine eigenen Neigungen verbergen muss. Er will mit allen Mitteln die Patientenliste Dr. Hirschfelds an sich bringen, ehe sie in die Hände der
Partei gerät. Die Partei ist aus den gleichen Gründen an ihr interessiert, nicht nur Blume war Patient bei Dr. Hirschfeld.
Der zweite Patient, Karl Fein, eine mehr oder weniger historisch verbürgte Gestalt und deutschsprachiger Jude aus Brünn (Tschechien), ist Hirschfelds Anwalt. Er wird 1939 nach Palästina
ausgeschafft. Hier hat er als Homosexueller, Transvestit und Mitteleuropäer Anpassungsschwierigkeiten, bis ihn 1958 seine Vergangenheit als Anwalt des Dr. Hirschfeld einholt und der israelische
Auslandsgeheimdienst Mossad versucht, mit seiner Hilfe an die Patientenliste zu kommen. Die Agent*innen sind nämlich auf der Suche nach einem SS-Kriegsverbrecher, der Jüdinnen vor der Deportation
ins KZ die Zöpfe abgeschnitten hat, um offenbar seine fetischistischen Neigungen auszuleben.
Der Autor springt zwischen diesen beiden Erzählsträngen hin und her, was es für den*die Leser*in zum Teil etwas anstrengend macht. Beeindruckend sind indes die zeitgeschichtlichen Hintergründe,
die in die Handlung einfließen. Das Leben von Homosexuellen im „Dritten Reich“ wird anschaulich geschildert, auch kommt man dem Arzt näher, der so viel für queere Menschen in Deutschland und
darüber hinaus bewirkt hat. Ein lesenswerter Roman.
Doktor Hirschfelds Patient
Nicolas Verdan
Übersetzt von Hilde Fieguth
276 Seiten, gebunden, 29 Euro
Verlag Die Brotsuppe | ISBN 978-3-03867-065-0
Text: Oliver Erdmann