Der Düsseldorfer Reinhard Schmidt gehörte 1970 zu den Mitbegründern der ersten politischen Aktionsgruppe für Akzeptanz und Gleichberechtigung von Homosexuellen in Deutschland. Jetzt hat er ein Buch über die Anfänge der Schwulenbewegung in den 1970er-Jahren herausgegeben.
Wenn an den Beginn der schwul-lesbischen Emanzipationsbewegung in Deutschland Anfang der 1970er-Jahre erinnert wird, geht der Blick meist nach Münster. Am 29. April 1972 gingen schwule und lesbische Studierende hier zum ersten Mal auf die Straße und protestierten gegen Diskriminierung und für Toleranz. Die Demonstration der 1971 gegründeten „Homophilen Studentengruppe“ ging als erste Schwulendemo in die deutsche Geschichte ein und ist die „Mutter aller CSDs“ in Deutschland.
Was kaum jemand weiß: Am 15. Dezember 1970 wurde an der Ruhr-Universität in Bochum die deutschlandweit erste Hochschulgruppe ins Leben gerufen, die sich für die Belange von Homosexuellen einsetzte. Die Gründung der „HAG - Homosexuelle Aktionsgruppe Bochum“ ging ein Jahr nach der Liberalisierung des Schwulenparagrafen 175 auf die Initiative von zwei lesbischen Studentinnen zurück. In der Folgezeit – etwa vier Jahre lang – haben sich überwiegend schwule Studierende an den öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten beteiligt. Sie schrieben Artikel für die Student*innen-Zeitung, organisierten Veranstaltungen und trafen sich einmal wöchentlich zum Austausch. Gruppenmitglieder aus Bochum unterstützten 1971 die Studierenden an der Uni Münster bei der Gründung einer dortigen Aktionsgruppe.
Reinhard Schmidt hat damals an der Ruhr-Uni Psychologie studiert und war bei der Gründung der HAG am 15. Dezember 1970 mit dabei. Der 72-Jährige hat in seinem Privatarchiv zahlreiche Dokumente und handschriftliche Aufzeichnungen, die den Grundstock für sein jetzt erschienenes Buch bildeten. „Immer wieder habe ich mich mit ehemaligen Mitgliedern der Gruppe darüber unterhalten, dass man doch die Geschichte mal aufschreiben müsste“, erinnert sich Schmidt. Als ein Ex-Kommilitone dann in Hamburg mit dem Historiker Dr. Gottfried Lorenz in Kontakt kam, der schon zahlreiche Schriften zur Schwulenverfolgung veröffentlicht hat, ergab sich endlich die Gelegenheit. „Der Historiker fand das Projekt interessant und half uns bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung“, erzählt Reinhard Schmidt.
Drei Jahre lang hat die Arbeit an dem Buchprojekt gedauert. Nachdem die Recherche in diversen öffentlichen Archiven wenig neue Hinweise erbrachte, fand man im Schwulen Museum in Berlin ein ausführliches Konvolut. Zusammen mit den Aufzeichnungen von Reinhard Schmidt und den Berichten anderer Gruppenmitglieder kamen somit ausreichend Dokumente für die wissenschaftliche Bearbeitung zusammen. Das jetzt erschienene Buch ist eine Kombination aus einer historisch-wissenschaftlichen Betrachtung und authentischen Essays – angereichert mit Fotos.
Für Reinhard Schmidt, der nach dem Studium in Düsseldorf heimisch wurde, ist die Studentenzeit noch in guter Erinnerung – und die HAG war für ihn persönlich eine wichtige Initialzündung. „Der Aufruf zur Gruppengründung hat mein äußeres Coming-out bewirkt, was in der Folge mein vorheriges Leben ziemlich umkrempelte“, sagt er. Seither engagiert sich Schmidt in der LSBTIQ*-Community. Seit Anfang der 1990er-Jahre ist er ehrenamtlich bei der Aidshilfe Düsseldorf aktiv. Von 2008 bis 2014 war er Koordinator beim queeren Schulaufklärungsprojekt SCHLAU.
Dass die HAG Bochum die erste politisch aktive Homosexuellengruppe in Deutschland war, hat auch Reinhard Schmidt überrascht. „Es hat mich echt gewundert, dass es damals selbst in großen Metropolen wie Berlin oder Frankfurt nichts gab“, erzählt er. Laut Historiker Lorenz habe man damals in Bochum „die dritte Homosexuellenbewegung angeschoben“, so Schmidt, „ein Verdienst, den man jetzt erst erkannt hat und auf den man stolz sein kann“.
Infos zum Buch gibt's hier
Text: Oliver Erdmann