Am 21. Dezember 2024 feiert die Hörspiel-Version des queeren Theaterstücks „America“ von Autor Giorgio Ferretti in der Theaterfabrik Düsseldorf Premiere. Düsseldorf Queer sprach mit Regisseur Marvin Wittiber über das Stück.
Marvin, wie bist du auf das Theaterstück und den Autor aufmerksam geworden?
Tatsächlich bin ich gar nicht selbst auf „America“ und Giorgio Ferretti gestoßen, sondern Simone Saftig, die Autorin und Dramaturgin, mit der ich eng zusammenarbeite. Sie war im vergangenen Jahr für den WORTMELDUNGEN-Förderpreis nominiert und hat dort den ebenfalls nominierten – und späteren Gewinner – Giorgio kennengelernt. Dieser hat ihr sein Theaterstück „America“, für das er 2022 mit dem exil-Dramatiker*innenpreis durch die WIENER WORTSTAETTEN ausgezeichnet wurde, zum Lesen zugeschickt. Als Simone und ich im Gespräch über einen passenden Stoff für eine gemeinsame Inszenierung waren, hat sie ihn mir schließlich gezeigt. Ich war nach dem ersten Lesen gleich Feuer und Flamme für den Text.
Was hat dich an dem Stück besonders gereizt?
Mich haben vor allem die Sprache und der Rhythmus des Textes fasziniert. Auf der Erzählebene verwendet der Autor einen simplen, fast kindlichen Sprachstil, der Purheit vermittelt – diese Neugier, Entdeckungsfreude und eine gewisse Naivität, die uns an unsere eigene Jugend erinnert. Gleichzeitig schafft er mit lyrischen und poetischen Elementen, besonders in den Gedanken und Emotionen des Protagonisten, eine zweite Ebene voller Tiefe. Besonders spannend finde ich, dass America bis zum Schluss als Metapher bestehen bleibt. Es eröffnet einen riesigen Interpretationsspielraum, denn für jeden und jede ist America etwas anderes. Diese Offenheit und Vielschichtigkeit, die Raum für persönliche Bedeutungen lässt, hat mich besonders angesprochen.
Fragen nach der eigenen Identität stehen im Mittelpunkt des Stücks und sind zentrale Bestandteile der eigenen Persönlichkeitsentwicklung für queere Menschen. Was berührt dich in dem Stück besonders?
Giorgio Ferretti zeigt in seinem Stück, wie nah Lust und Schmerz, Sehnsucht und Verzweiflung sowie Ankommen und Aufbrechen einander sind. Was mich besonders berührt, ist die unerschütterliche Neugier seines Protagonisten: Trotz Rückschlägen und Unsicherheiten verliert die Figur nie die Lust am Entdecken. Getrieben vom Wunsch nach Glück riskiert er immer wieder alles, um weiterzusuchen. Das erfordert großen Mut – und auch die Einsicht, dass sich die eigene Vorstellung von Glück im Laufe des Lebens verändern kann. Diese Suche nach einem Ort des Ankommens, dem persönlichen America, berührt mich tief, weil sie auch mein eigenes Leben und Streben widerspiegelt.
Wie bist du darauf gekommen, aus dem Theaterstück eine Hörspielversion zu kreieren? Wie hat der Autor auf die Idee reagiert?
Der Text verhandelt sehr intime Themen, wie Sexualität, Begehren, Liebe, Sehnsüchte, Selbstfindung und Selbstbefragung. Mir ist es in meiner künstlerischen Arbeit immer sehr wichtig, dass Form und Inhalt zueinander passen. Aus dem Bühnentext ein Hörspiel zu machen, das man individuell und im Privaten erleben kann, erschien Simone und mir als idealer künstlerischer Zugriff. Und Giorgio ließ sich schließlich auch leicht von der Idee begeistern. Nach der Uraufführung am Schauspiel Leipzig vor über einem Jahr ist es nun auch das erste Mal, das sein Stück neu inszeniert wird.
Und wie kam es dann zu der Bühnenversion als Live-Hörspiel?
Für mich als Theatermacher gibt es nichts Schöneres als die physische Nähe und die gemeinsame Erfahrung in einem Raum. Jede*r Zuschauer*in bringt zwar eine eigene Perspektive und Interpretation ein, aber durch das gemeinsame Erleben entsteht dennoch ein übergeordnetes Gemeinschaftsgefühl. Ich bin überzeugt, dass das individuelle Erleben in einer Gruppe im Theater und das alleinige Streaming-Erlebnis zu Hause grundlegend verschieden sind. Beide Perspektiven sind wertvoll, aber nur wer beides erlebt, kann die Einzigartigkeit jedes Formats vollständig erfassen. Besonders das Format des Live-Hörspiels verbindet die Magie der gesprochenen Sprache mit der intensiven Energie, die nur ein gemeinsames Live-Erlebnis im Raum bieten kann.
Wie hast du für dieses Vorhaben dein Team zusammengestellt?
Neben Simone arbeite ich wieder mit der Bühnen- und Kostümbildnerin Saskia Holte zusammen, die ein wunderbares Raumkonzept entwickelt hat, das die Poesie und Metaphorik des Textes bildstark aufgreift. Außerdem arbeite ich erstmals mit dem Komponisten Kilian Bergen zusammen. Auf seine Musikstücke, in denen er auf beeindruckende Weise Schönheit und Schmerz miteinander verschmelzt, darf sich das Publikum besonders freuen.
Und das Ensemble?
Wie in meinen bisherigen Arbeiten auch, arbeite ich wieder mit Nachwuchsschauspieler*innen zusammen. Der Protagonist wird gesprochen von dem 18-jährigen Schauspielschüler Mateusz Antoniak, der seine Ausbildung an der Film Acting School Cologne absolviert. Das Ensemble komplettieren der Kölner Schauspieler Eric Haarhaus und die Düsseldorfer Schauspielerin Valerie Schneider, mit der ich bereits 2022 in der Theaterproduktion „Judas“ zusammengearbeitet habe.
Wo wird man das Hörspiel finden, falls man es nicht zur Aufführung in der Theaterfabrik am 21. und 22. Dezember schafft?
Zunächst einmal gibt es noch am 30. und 31. Januar um jeweils 19.30 Uhr die Möglichkeit, die Aufführung im Café ADA in Wuppertal zu erleben. Ab dem 1. Februar steht das Hörspiel dann für das individuelle Hörerlebnis auf allen gängigen Streamingplattformen bereit.
Fragen: Oliver Erdmann