Seit Oktober 2024 ist Michael Vucinaj der neue Geschäftsführer bei DIVERSITAS. Im Interview mit Düsseldorf Queer spricht der 56-Jährige über die aktuellen Herausforderungen für die Aidshilfe Düsseldorf.

Michael Vucinaj ist gebürtiger Westfale. Aufgewachsen in Iserlohn zog es ihn nach seinem Theologie-Studium und diversen Stationen als katholischer Seelsorger zunächst nach München, wo er in der Altenpflege tätig war. Vor seinem Wechsel zur Aidshilfe Düsseldorf war er in geschäftsführender Funktion bei unterschiedlichen Kreisverbänden des Deutschen Roten Kreuzes in NRW tätig. Hier konnte der 56-Jährige Akzente im Jugendbereich setzen und Kindertagesstätten aufbauen.
Seit gut vier Jahren lebt Michael Vucinaj bereits mit seinem Mann in Düsseldorf-Friedrichstadt. Er hat hier einen großen Freundeskreis, ist aktives Mitglied bei der KG Regenbogen und engagiert sich als städtischer Notfallseelsorger. Das Stellenangebot der Aidshilfe kam ihm daher sehr gelegen, muss er nun doch keine Zeit mehr mit Pendeln verbringen. Und auch die vielfältige Ausrichtung der DIVERSITAS-Organisationen war ein guter Grund für den Jobwechsel, wie er im Interview mit Düsseldorf Queer verrät.

Michael, seit einem halben Jahr bist Du der neue Geschäftsführer bei DIVERSITAS. Was hast Du über die Organisation und ihre Mitarbeiter*innen gelernt, seit Du hier bist?
Gelernt ist gut gesagt. Ich habe Menschen mit viel Leidenschaft für ihre Aufgaben kennen-gelernt, Menschen, die dafür brennen, dass einerseits Kämpfer der ersten Stunden für Gleichberechtigung, Akzeptanz und Vielfalt nicht in Vergessenheit geraten, aber auch, dass der Kampf heute gegen HIV und AIDS noch nicht vorbei ist und viele Facetten einnimmt, die auch gerade mit der heutigen politischen Lage und den Entwicklungen u.a. in Europa, USA und Afrika zu tun hat.
Gleich zu Beginn Deiner Tätigkeit war die Aidshilfe Düsseldorf mit drohenden Landesmittelkürzungen konfrontiert, die mittlerweile größtenteils abgewendet werden konnten. Wie ist hier der aktuelle Stand?
Wir haben letztes Jahr dafür gekämpft, dass die Kürzungen zurückgenommen werden. Alles haben wir nicht erreicht, so dass wir nach wie vor mit Kürzungen in unseren Aufgabenfeldern zu tun haben. Dabei sind nicht ganze Bereiche betroffen, sondern eben immer nur gießkannenmäßig alle Bereiche der Arbeit der Beratung und Prävention, die die Projekte Herzenslust (Präventionsarbeit für und mit Schwulen, Bisexuellen sowie Männern, die Sex mit Männern haben insbesondere an Szeneorten), XXelle (Frauen und HIV), PRADI (Beratungsangebot für schwule und bisexuelle Migranten und geflüchtete Männer), Männliche Sexarbeit sowie MiSSA (Präventive und vernetzende Arbeit von Migrant*innen aus Subsahara Afrika) betreffen. Insgesamt müssen wir rund 23.000 Euro durch die Kürzungen kompensieren und hoffen das hier nicht weiter die Säge angesetzt wird.
Das UN-Aidsprogramm UNAIDS hat kürzlich vor einem Wiederaufflammen der Aids-Pandemie gewarnt, weil wegen der Kürzungen der USA in der Entwicklungshilfe Tausende Infizierte keine Medikamente mehr bekämen. Wie beurteilst Du die aktuelle weltpolitische Lage im Hinblick auf die Bekämpfung von HIV/AIDS? Und vor welchen Herausforderungen stehen die Aidshilfen hierzulande?
Was soll ich dazu sagen? Bisher hat die westliche Welt Verantwortung übernommen für Menschen und Länder, die aus eigener wirtschaftlicher Kraft nur erschwerten Zugang zu Hilfeleistungen und Medikamenten haben. Eine solche Welt-Solidarität ist spätestens mit dem Aufkommen eines staatlichen ICH-Denkens („Make … great again“) in Vergessenheit geraten. Die Lage ist nicht nur ernst, sondern droht auch angesichts der politischen radikalen Tendenzen, die weltweit Konjunktur haben, so zu kippen, dass das Leben von Menschen bedroht ist, je nachdem in welchem Land auf der Erde sie leben. Die fehlende Entwicklungshilfe wird auch die verstärkte Flucht aus solchen Regionen der Welt fördern, wo HIV verleugnet wird und queere Menschen in ihrer Existenz bedroht werden. Und wir als Aidshilfen in Deutschland werden diese Menschen auffangen müssen, so dass unsere Arbeit hier vor Ort verstärkt nachgefragt wird.
Aber auch wir müssen uns heute mehr denn je erklären, dass AIDS nicht ausgestorben ist und Menschen auch hier sich nach wie vor mit HIV infizieren können und – anders als bei anderen chronischen Erkrankungen – sich immer wieder selbst erklären müssen, weiterhin und vielleicht heute mehr denn je stigmatisiert werden.
Seit vielen Jahren geht es unter dem Dach von DIVERSITAS um mehr als Beratungs- und Hilfsangebote für Menschen mit HIV. Anerkannte Fachstellen wie die Trans*beratung, das Netzwerk PRADI und insbesondere die Jugendarbeit haben einen hohen Stellenwert für die queere Community in der Landeshauptstadt und darüber hinaus. Wie wichtig ist diese vielfältige Aufstellung der Organisation?
Die Aidshilfe Düsseldorf als Verein hat sich letztlich seit Bestehen zur Aufgabe gemacht Menschen zu unterstützen, die durch HIV, aber auch durch ihre Identität angefeindet, diskriminiert und fehlende Lebensmöglichkeiten haben. Am Anfang war dies fast ausschließlich palliativ ausgerichtet, Menschen mit AIDS in den letzten Jahren zu unterstützen und bis zur letzten Stunde zu begleiten, Pflege und Würde zu garantieren. Daraus hat sich anfänglich die Care24 Soziale Dienste gebildet, die heute Assistenzleistungen in der Eingliederungshilfe als ambulanter Dienst anbietet, aber auch Menschen ohne Obdach in ihrer Existenzbedrohung hilft und unterstützt. Der Jugendbereich hat sich auf Bitten der Stadt Düsseldorf dem Thema der queeren offenen Jugendarbeit verschrieben, jugendlichen queeren Menschen einen Schutzraum zu bieten, wo ihre Themen der geschlechtlichen Identität und Ausrichtung zur Sprache kommen können. Die Anfeindungen von queeren Jugendlichen kennen wir gerade durch unser SCHLAU-Projekt in den Schulen sehr gut. Umso mehr wissen wir, wie wichtig es ist, Jugendlichen einen Rückzugsort zu geben, wo sie unter sich sein können und safe sind. Das geschieht in unserem Jugendzentrum PULS. Die Schwul-lesbische Jugendarbeit Düsseldorf e.V. (SLJD e.V.) wird nun modern in die Jung & Queer Düsseldorf gGmbH umgewandelt, um einerseits den heutigen modernen Anforderungen an queere Jugendarbeit auch im Namen zu entsprechen, andererseits aber auch die Anbindung an die Aidshilfe Düsseldorf als Initiator des Angebots für Jugendliche noch besser abbilden zu können, denn die Aidshilfe wird 100%iger Gesellschafter dieser neuen Gesellschaft sein.
In diesem Jahr feiert die Aidshilfe Düsseldorf ihr 40-jähriges Bestehen. Was steht auf dem Jubiläumsprogramm?
Erst einmal ziehe ich meinen Hut vor der Leistung von 40 Jahren Aidshilfe in Düsseldorf. Viele Menschen haben hier Unterstützung und Hilfe erfahren und das soll weitergehen.
Neben einem offiziellen Festakt im Rathaus mit allen Vertreter*innen aus Politik und Gesellschaft möchte ich insbesondere auf unsere Gedenk-Installation „Namen und Steine“ am Burgplatz hinweisen. Sie erinnert an Menschen, die an den Folgen von HIV/AIDS gestorben sind und an deren Namen wir uns liebevoll erinnern sollen. Hier werden dieses Jahr im Rahmen der 40-Jahr-Feier weitere Steine eingesetzt werden.
Aber auch ein Sommerfest wird das Jubiläum begleiten, welches wir aktuell Ende August planen, wo quasi ein Tag der Offenen Tür in der Aidshilfe und drumherum stattfinden soll, ein Fest, wo viele Angebote möglich sein werden. Seid also gespannt!
Wenn Du Dir für das Geburtstagskind Aidshilfe und die Organisation DIVERSITAS etwas wünschen dürftest, was wäre das?
Das Geburtstagskind Aidshilfe – wie passend. Ich denke daran, dass die Aidshilfe weiterhin als die Organisation wahrgenommen werden soll, die gegen Ausgrenzung und Diskriminierung vorgeht, die Menschen in allen ihren Identitäten Lebensmöglichkeiten eröffnet, die auf die aktuellen sozialen Herausforderungen stets eine neue und vielseitige Antwort hat und die den Kampf gegen HIV und AIDS weiterkämpft, damit es nicht zu einem Zurückfallen in die Sorgen und Ängste der Vergangenheit kommt. Wir brauchen dafür insbesondere sehr engagierte ehrenamtliche Menschen, wie die vielen Helfer*innen, die wir in unserer diversen Organisation integrieren können. Wir brauchen weiterhin viele leidenschaftliche Hauptamtliche, wie wir sie aktuell haben, die auch mutig und kreativ mit den Herausforderungen der heutigen und zukünftigen Jahre umgehen können. Und wir brauchen dringend Förderer, Unterstützer*innen und kommunale Entscheidungstragende, die uns im Mehr, was wir gern für Menschen mit HIV und deren Angehörige und unsere Community leisten, finanziell weiterhelfen.
Im Grunde genommen wünscht sich das Geburtstagskind Aidshilfe – wie auch die gesamte Organisation DIVERSITAS – wirtschaftliche wie soziale Stabilität, Offenheit und wirklich DIVERSITÄT, die in allen Bereichen des Lebens und unserer Gesellschaft Normalität sein muss.
Text und Fragen: Oliver Erdmann