Einsatz für eine diskriminierungsfreie Vielfalt in Düsseldorf

Özgür Kalkan ist neuer Geschäftsführer von DIVERSITAS, dem gemeinsamen Dach von Aidshilfe Düsseldorf, Care24 Soziale Dienste und dem Verein Schwul-lesbische Jugendarbeit Düsseldorf. Der 45-jährige Betriebs- und Sozialwirt und gebürtige Düsseldorfer im DQ-Interview.

Bild: Özgür Kalkan
Özgür Kalkan ist neuer Geschäftsführer von DIVERSITAS. // Foto: Diversitas - Bunt für Düsseldorf

Özgür Kalkan, Sie sind seit Anfang Juni neuer Geschäftsführer der Aidshilfe Düsseldorf. Die Einarbeitung in die vielfältigen Arbeitsfelder hat schon ein paar Wochen zuvor begonnen. Die Fußstapfen Ihres langjährigen Vorgängers Peter von der Forst sind groß. Wie groß ist Ihr Respekt, wie groß Ihre Vorfreude auf Ihre neue Tätigkeit?


Die Aidshilfe Düsseldorf hat vielfältige Angebote, welche eine sehr wichtige Funktion in der sozialen Stadtgesellschaft in Düsseldorf einnehmen. Insbesondere die weitere Entwicklung und die Sicherung dieser Arbeitsfelder spielen für uns eine wichtige Rolle. Hierbei müssen wir uns immer wieder auf neue Anforderungen und Probleme der Menschen in unserem Wirkungskreis einstellen. Ich freue mich sehr, als neuer Geschäftsführer einen Teil zu diesen wichtigen Aufgaben beizutragen.
Peter von dem Forst hat in kluger Vorausschau bereits diverse Entwicklungen losgetreten, und die Fortführung dieser Organisationsentwicklung betrachte ich mit großem Respekt, aber auch mit großer Freude. Ich stelle mir nicht die Frage, in welche Fußstapfen ich trete, sondern welche Schritte in Zukunft für die Aidshilfe Düsseldorf wichtig sind.

Sie waren zuvor Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt in Aachen. Gab es dort Berührungspunkte mit LSBTIAQ*-Projekten? In Düsseldorf hat die AWO ja zum Beispiel Fachstellen für Regenbogenfamilien und fürs Altern unterm Regenbogen. Welche Kontakte hatten Sie bisher – beruflich oder privat – zur queeren Community?


Die Arbeiterwohlfahrt ist ein großer Träger von Projekten und Einrichtungen, hauptsächlich im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit und im Bereich der Pflegedienstleistungen sowie diverser sozialer Dienste. Berührungspunkte zu Projekten im LSBTIAQ-Bereich gab es da nur punktuell, je nach Schnittstelle in meinem Tätigkeitsbereich der AWO. Ich bin begeistert, dass die Arbeiterwohlfahrt Düsseldorf die Fachstelle Regenbogenfamilien betreibt und dass es eine gemeinsame Kooperation zur Fachstelle Altern unterm Regebogen gibt. Das zeigt, wie aufgeschlossen und vielfältig die AWO Düsseldorf ist.
Meine Kontakte zur queeren Community sind hauptsächlich im privaten Bereich, was den Familien-und Freundeskreis betrifft. Letztendlich bin ich in Düsseldorf aufgewachsen und habe auch die Entwicklung der queeren Community mitverfolgt.

 

Bild: Özgür Kalkan mit Diversitas-Roll-up
Özgür Kalkan leitet seit Anfang Juni die Teilorganisationen von DIVERSITAS. // Foto: DIVERSITAS - Bunt für Düsseldorf

Im vergangenen Jahr hat sich die Aidshilfe neu aufgestellt und die Dachmarke DIVERSITAS geschaffen. Hierzu gehören auch die Schwul-lesbische Jugendarbeit Düsseldorf e.V. mit dem Jugendzentrum PULS und dem Aufklärungsprojekt SCHLAU sowie die Pflegeorganisation Care24 Soziale Dienste gGmbH. Was steckt hinter dieser Neuausrichtung?


Zum 35. Geburtstag hat sich die Aidshilfe Düsseldorf ein besonderes Geschenk gemacht: eine neue Dachmarke, unter der sich seit Ende Oktober 2020 die mit der Aidshilfe Düsseldorf verbundenen Teilorganisationen wiederfinden. „DIVERSITAS – Bunt für Düsseldorf“ ist mehr als nur ein Name, dieser ist zugleich Programm. Denn unter dem Dach von DIVERSITAS Düsseldorf setzen sich die drei Teilorganisationen Aidshilfe Düsseldorf, Care24 Soziale Dienste und der SLJD (Schwul-lesbische Jugendarbeit Düsseldorf e.V.) für diskriminierungsfreie Vielfalt in Düsseldorf ein. „DIVERSITAS – Bunt für Düsseldorf“ versteht sich vor diesem Hintergrund als politische Instanz und sozialpolitische Akteurin zur Gestaltung einer diskriminierungsfreien Gesellschaft. Geleitet von der grundsätzlichen Wertschätzung gegenüber allen Menschen, fördert und unterstützt DIVERSITAS Lebensweisen-Akzeptanz, Individualität und Toleranz und begegnet allen Menschen mit Empathie und Respekt.


Aidshilfearbeit war immer mehr als Erfahrungsaustausch, Einzelfallhilfe sowie Aufklärung und Beratung. Schließlich entstand Aidshilfearbeit in einem gesellschaftlichen Klima, das geprägt war von Angst, Stigmatisierung und Ausgrenzung gegenüber den betroffenen Menschen. So war die Arbeit der Aidshilfe auch immer die einer Organisation die sich für Menschenrechte, Akzeptanz und die Rechte der Betroffenen einsetzt. Und das bis heute.


Über die Jahrzehnte entstanden aus dieser Situation heraus Angebote für Menschen, die weit über das Thema HIV/Aids hinaus von Stigmatisierung und Ausgrenzung betroffen waren und sind: aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität, als Drogengebrauchende, Wohnungslose oder Geflüchtete. Die sozialarbeiterische und medizinische Versorgung Wohnungsloser, das ambulant betreute Wohnen für Menschen mit Teilhabeeinschränkungen, das LSBTIQ+ Jugendzentrum PULS sowie das Aufklärungsprojekt SCHLAU, das Schwule Überfalltelefon, die Fachstelle „Altern unterm Regenbogen“ in Kooperation mit der Frauenberatungsstelle und der AWO, das Testprojekt Checkpoint, die Trans*beratung Düsseldorf, das Netzwerk PRADI usw. Sie alle gehören zur Aidshilfe bzw. zu den Aidshilfe-Düsseldorf-Organisationen Care24 Soziale Dienste gGmbH und Schwul-lesbische Jugendarbeit Düsseldorf e.V. Viele unserer Projekte sind also nicht mehr Aidshilfe im eigentlichen Sinne der Wortbedeutung, sondern richten sich an eine Zielgruppe, die viel weiter gefasst ist. So durchliefen die genannten Teilorganisationen gemeinsam und unter Einbindung aller Mitarbeitenden einen Organisationsentwicklungsprozess, der – professionell begleitet und gesteuert – zu einer Neu-Organisation führte, in der alle Projekte, Fachbereiche und Zielgruppen auf Augenhöhe agieren und sich in einem gemeinsamen Selbstverständnis wiederfinden.


Der Name der Dachmarke entstammt übrigens einem der 120 Namensvorschläge, die seitens der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden eingereicht worden waren: „DIVERSITAS – Bunt für Düsseldorf“. Die eigene, passende Wort-Bild-Marke ist optischer Ausdruck des neuen Auftrittes.

Die Corona-Pandemie hat auch einen großen Einfluss auf die Finanzen der Aidshilfe Düsseldorf. Weil Veranstaltungen wie die traditionelle Kunstauktion HeartWork oder die jährliche Operngala der Deutschen Aids-Stiftung zugunsten der Aidshilfe Düsseldorf nicht wie bisher stattfinden konnten, fehlen Spenden für wichtige Projekte. Wie macht sich das in der aktuellen Arbeit bemerkbar?


Das Jahr 2020 und 2021 war geprägt durch die Corona-Pandemie. Die Monate seit März 2020 waren auch bei der Aidshilfe Düsseldorf und ihren Teilorganisationen anders gedacht und geplant gewesen. So sollte das Jahr 2020 und 2021 ein Jahr voller besonderer Aktivitäten und, ja, auch Festivitäten im Kreis vieler Menschen werden. Der CSD gemeinsam mit den EuroGames, das Sommerfest, 10 Jahre PULS, das 35-jährige Jubiläum der Aidshilfe Düsseldorf und die Präsentation der Dachmarke, der Welt-Aids-Tag u.v.m. Dazu natürlich die gesamten Aktionen des Förderkreises Heartbreaker und unserer Teilorganisationen. Und nicht zu vergessen: Die tagtägliche Beratungsarbeit, die Vielzahl der Angebote bei uns in der Beratungsstelle und außer Haus – sie alle wurden durch Corona und den zweifachen Lockdown massiv beeinträchtigt. Trotz aller Einschränkungen im vergangenen Jahr gibt es aber auch Positives zu berichten: dazu zählen ganz besonders das Engagement unserer Mitarbeitenden, die in vielen Fällen aktiv und verantwortungsbewusst sowie mit Kreativität auf die Herausforderungen reagiert haben.


Die wirtschaftliche Situation vieler unserer Unterstützer*innen und Spender*innen ist schwieriger geworden. Langjährige Unterstützer*innen für Benefiz-Events aus Gastro- und Eventbranche kämpfen ums eigene Überleben. Stiftungen, mit denen wir kooperieren, können aus bekannten Gründen weniger Gelder ausschütten. Und staatliche Hilfen sind im Bereich der Sozialwirtschaft nicht in Sicht. Von daher wird deutlich, dass wir uns auf finanzielle Einbrüche und eine angespannte finanzielle Situation einstellen müssen. Die Entwicklung der Einnahmen besonders im Bereich der Eigenmittel und der Spenden und die Steigerung der Kosten konnten nicht miteinander Schritt halten, sodass wir zur Aufrechterhaltung unserer Arbeit eine sehr große Entnahme aus den Rücklagen ausführen mussten. Dies ist auch weiterhin eine große Herausforderung für uns. Wenn sich die Entwicklung der Spendeneinnahmen und der Eigenmittel nicht verändert, stehen wir vor großen Problemen, um einige Projekte weiterhin aufrecht zu erhalten.

Neue Aufgabenbereiche wie die Trans*beratung Düsseldorf oder das Projekt PRADI für Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund erfahren eine große Nachfrage. Hier braucht es mehr Personal, um die Arbeit zu bewältigen. Wie beurteilen Sie die Möglichkeit einer nachhaltigen Aufstockung dieser Stellen vor dem Hintergrund schrumpfender städtischer Mittel?


Beide Projekte erfahren eine stetig steigende Nachfrage, die wir vor dem Hintergrund der vorhandenen Personalressourcen kaum abdecken können. Auch wird sich die Nachfrage in den nächsten Jahren erhöhen, was die aktuellen Statistiken ganz deutlich darlegen. Wir hoffen auf eine fachliche Unterstützung und Kooperation mit der Politik und der Verwaltung, um eine Sicherung und Aufstockung beider Projekte zu erreichen.

Zurzeit engagiert sich eine Initiative unter Federführung des LSBTIQ+ Forum Düsseldorf für ein Queeres Zentrum in der Landeshauptstadt. Mit dem Jugendzentrum PULS hat DIVERSITAS schon viel Erfahrungen mit dem Betrieb eines Zentrums. Sie selbst haben Erfahrungen mit Begegnungszentren aus Ihrer Arbeit für die AWO. Welche Art von Unterstützung für die Errichtung und den Betrieb eines Queeren Zentrums in Düsseldorf können Sie sich vorstellen?


Das Anliegen des LSBTIQ+ Forums halte ich für sehr wichtig, insbesondere für die weltoffene und tolerante Landeshauptstadt Düsseldorf. Ein Queeres Zentrum würde die vorhandenen Angebote und Projekte abrunden und auch neue Möglichkeiten der Begegnung schaffen. Vor allem spielt der Aspekt der Begegnung innerhalb einer städtischen Gesellschaft eine wichtige Rolle und kann dazu beitragen, Vorurteile abzubauen. Als Geschäftsführer der AWO habe ich viele Begegnungszentren erfolgreich implementiert, betreut und begleitet. Als DIVERSITAS stehen wir mit unseren Erfahrungen, Projekten und Kompetenzen dem Zentrum zur Verfügung und würden uns freuen, einen Teil zur Entstehung des Zentrums beizutragen.

 

Fragen: Oliver Erdmann