Drama um Macht und Ungerechtigkeit

Die wenig bekannte Oper „Der Kreidekreis“ von Alexander Zemlinsky ist zurzeit in Düsseldorf in der Inszenierung von David Bösch zu sehen. Ein unterhaltsames und berührendes Stück zwischen Sozialdrama und Märchen.

Bild: Der Kreidekreis
Statisterie der Deutschen Oper am Rhein // Foto: Sandra Then

Wen der Titel an Bertold Brechts Schauspiel „Der kaukasische Kreidekreis“ erinnert, liegt nicht ganz falsch. Beide Stücke basieren auf einem Text des deutschen Schriftstellers Klabund, der die aus dem 14. Jahrhundert stammende, in China spielende Geschichte Anfang der 1920er-Jahre für das Theater bearbeitet hat. Alexander Zemlinsky schrieb seine Oper allerdings bereits gut zehn Jahre vor Brecht. Am 14. Oktober 1933 feierte „Der Kreidekreis“ als Oper in Zürich Premiere. Der österreichische Komponist musste zuvor aus Berlin flüchten, weil er Jude war.

 

Alexander Zemlinskys „Kreidekreis“ ist eine faszinierende Mischung aus Märchen und Sozialdrama, die Charaktere sind stark überzeichnet. Es wird nicht nur gesungen, sondern viel gesprochen und gespielt. Die Musik bewegt sich zwischen Spätromantik à la Strauss und Mahler, Jazzklängen und fernöstlichen Gongschlägen. Vieles erinnert an Stücke von Kurt Weill, dessen Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ von Zemlinsky während seiner Schaffensphase an „Der Kreidekreis“ in Berlin dirigiert wurde.

 

Bild: Cornel Frey
Cornel Frey (Tong, ein Kuppler) // Foto: Sandra Then

„Der Kreidekreis“ ist ein Drama um Macht und (Un-)Gerechtigkeit. Die junge Haitang (hervorragend gespielt und gesungen von Lavina Dames) wird nach dem Freitod ihres Vaters von der Mutter an den Kuppler Tong (großartig verkörpert von Cornel Frey) verkauft. In die hübsche Jungfrau vergucken sich Prinz Pao (Matthias Koziorowski) und der Steuereintreiber Ma (Joachim Goltz). Letzterer – für den Ruin und somit für den Tod ihres Vaters verantwortlich – gewinnt den Bieterwettbewerb und nimmt Haitang als seine Zweitfrau bei sich auf. Ganz zum Missfallen von Yü-Pei, der ersten Gattin, zumal die Ehe bislang kinderlos geblieben ist und Haitang ihrem Herrn einen Sohn und Erben gebiert. Yü-Pei (überzeugend gespielt von Sarah Ferede) will nicht hinnehmen, dass sie nun in der Erbfolge nach hinten rutscht. Sie vergiftet ihren Mann, schiebt die Tat ihrer Rivalin in die Schuhe und behauptet, das Kind sei ihres.

 

Bild: Lavinia Dames und Matthias Koziorowski
Lavinia Dames (Tschang-Haitang), Matthias Koziorowski (Pao, ein Prinz) // Foto: Sandra Then

Haitang wird in einem Prozess von einem korrupten Richter (Werner Wölbern) schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt. Just in diesem Augenblick erfährt das Volk vom Tod des Kaisers, dessen Nachfolger Pao alle Todesurteile aufhebt und überprüfen will. Haitang und ihr Bruder (Richard Šveda), der ebenfalls verurteilt worden war, werden nach Peking überstellt. Nachdem der zukünftige Kaiser Pao Haitangs Bruder begnadigt, will er nun die Mutterschaft des Kindes klären. Die beiden Frauen sollen um das Kind kämpfen, indem sie es an den Armen aus einem Kreidekreis herausziehen sollen. „Die rechte Mutter wird die rechte Kraft besitzen“, sagt Prinz Pao und er erkennt, dass es Haitang ist, denn sie lässt ihr Kind los, um es nicht zu zerreißen. Zuletzt gesteht Prinz Pao ihr, dass es sich bei dem Kind um das Seine handeln muss.

 

Bild: Sarah Ferede
Sarah Ferede (Yü-Pei, Herrn Mas Gattin ersten Ranges) // Foto: Sandra Then

In jener Nacht, als Prinz Pao den Bieterwettstreit um sie verlor, schlich er sich in ihr Zimmer und vergewaltigte die Schlafende. Haitang, die sich an dieses Ereignis nur wie an einen Traum erinnert, verlangt daraufhin, dass Prinz Pao sie ehelichen und das Kind als Thronfolger anerkennen müsse. Prinz Pao stimmt dem zu, doch hier endet die Oper. Ob der Geschundenen am Ende doch noch Gerechtigkeit widerfährt, bleibt ungewiss. Kann sie dem Wort eines Mächtigen vertrauen, der zwar Gerechtigkeit propagiert, aber selbst schlimmste Verfehlungen begangen hat?

 

Bild: Werner Wölbern
Werner Wölbern (Tschu-Tschu, Oberrichter) // Foto: Sandra Then

„Der Kreidekreis“ in der Inszenierung von David Bösch ist großes Kino, auch wegen des Bühnenbildes von Patrick Bannwart und der übergroßen Kindsfigur, die immer wieder auftaucht und den Kampf im Kreidekreis anschaulich verkörpert. Die Düsseldorfer Symphoniker unter der musikalischen Leitung von Hendrik Vestmann leisten großartige Arbeit. Das Publikum bei der Aufführung am 14. Dezember 2024 war begeistert und spendete langanhaltenden Applaus.

 

Weitere Aufführungen im Opernhaus Düsseldorf: Fr 27.12.2024 (19.30 – 22.15 Uhr), So 12.01.2025 (18.30 – 21.15 Uhr), Mi 15.01.2025 (19.30 – 22.15 Uhr)

 

Infos und Tickets: www.operamrhein.de

 

Bild: Lavinia Dames und Sarah Ferede
Lavinia Dames (Tschang-Haitang), Sarah Ferede (Yü-Pei, Herrn Mas Gattin ersten Ranges), Statisterie der Deutschen Oper am Rhein // Foto: Sandra Then

Text: Oliver Erdmann