Harald Schüll konnte am 29. Oktober 2020 gleich zwei Geburtstage feiern. Seinen eigenen und den 35sten der Aidshilfe Düsseldorf. Der 71-Jährige war damals Gründungsmitglied und ist heute Ehrenmitglied. Er gibt HIV und Aids in Düsseldorf und weit darüber hinaus ein Gesicht.
1_ Vor 35 Jahren wurde in Düsseldorf die Aidshilfe gegründet. Wie kam es dazu und was waren damals die größten Herausforderungen?
Von Freunden aus den USA wussten wir, dass eine neue Krankheit auf uns zu kommt, die offenbar speziell Schwule betreffen sollte. Die Stimmung in der Gesellschaft war mies. Die Medien und
Politiker redeten oft diskriminierend über die Infizierten, die Schuldigen für die Übertragung. Vor allem Politiker aus Bayern – u. a. Horst Seehofer – wollten uns ausgrenzen und absondern. Wir
wurden als pervers diskriminiert. Wer in Darkrooms, Parks, Klappen – die gab es damals noch – Sex hat, wer sich intravenös Drogen spritzt, ist selbst schuld… Das war damals eine gängige Aussage.
Kurz gesagt, wir hatten das Gefühl, keiner wird uns helfen, das müssen wir schon selbst tun.
2_ Du warst von Anfang an dabei. Was war deine Motivation?
Ich habe Ende 1984 mein HIV-positives Testergebnis bekommen, was mich sehr in Panik versetzt hat. Ich hatte schon länger vor, mich wieder politisch zu engagieren und wollte mich eigentlich
zwischen Greenpeace und Amnesty International entscheiden. Als ich diese Krankheit und die Diskriminierung vor Augen hatte, wusste ich, wie und wo ich mich engagieren wollte.
3_ Wie bist du als offen lebender HIV-Positiver damals mit der Krankheit umgegangen?
Ich habe sehr bald mit meiner Schwester telefoniert und Hilfe bekommen, sie ist mein offenes Ohr für alles. Meinen Bruder habe ich nach einem Jahr informiert, meine Mutter erst nach dem Ausbruch
von AIDS im Jahre 1994. Meine Freunde habe ich einzeln informiert, oft telefonisch. Glücklicher Weise hat mich keiner weggeschickt oder gesagt „bleib weg! – du bist giftig!“. Die meisten haben
gesagt, dass sie jetzt auch Safer Sex machen würden, da diese Krankheit ja jetzt plötzlich nah gekommen ist. Ob sie es wirklich so gemacht haben, weiß ich nicht. Von meinem damaligen
Freundeskreis lebt nur noch ein Freund, alle anderen sind an Aids gestorben. Sexuelle Beziehungen waren erst einmal für mich beendet, auch weil ich nicht wusste, wie ich damit umgehen sollte.
Erst nach und nach wurden die Bedingungen für Safer Sex bekannt und machten sexuelle Begegnungen wieder möglich.
4_ Was waren in Bezug auf die Therapie die größten Erfolge?
Der erste große Erfolg bestand darin, dass die Opportunistischen Krankheiten, also die Auslöser des Vollbildes Aids, erfolgreich bekämpft wurden, zum Teil mit Medikamenten, die noch in der
Testphase waren. Ich war auch ein Versuchskarnickel. Ich hatte großes Glück. Immer dann, wenn ich ein neues Medikament benötigte, war gerade eins auf den Markt gekommen oder wurde getestet.
Ab Mitte 1996 gab es dann die Kombi-Therapien mit drei Wirkstoffen, die die Virusvermehrung erst verringerten und dann größtenteils unterdrückten. Ab 1997 habe ich verstanden, dass ich wohl
länger als – auch von Ärzten – gedacht leben würde. Ein Arzt hatte mich 1994 beruhigt mit der Aussage: „Statistisch gesehen hast du noch 34 Monate“. Das wäre Juli 1997 gewesen. Das war
tatsächlich eine Beruhigung, da bis dahin die meisten Freunde und Bekannten viel schneller gestorben sind.
Der dritte wichtige Moment kam dann, als durch eine Schweizer Studie bekannt wurde, dass Infizierte, die schon lange unter der Nachweisgrenze sind, nicht mehr infektiös sind. Ich war keine
Virusschleuder mehr.
5_ Und was waren und sind vielleicht heute noch die größten Probleme für HIV-positive Menschen?
Viele werden immer noch wie Aussätzige behandelt, man nimmt Abstand von sexuellen Kontakten und sagt gerne schon mal „Du bist es doch selbst schuld“. Manche Beziehungen gehen daran kaputt und
Jobs werden gekündigt oder man wird bei der Bewerbung gleich abgelehnt.
6_ In den Jahrzehnten haben sich die Ausrichtung und die Themenschwerpunkte der Arbeit der Aidshilfe verändert. Wie hast du das erlebt? Was ist an Aufgaben für den Verein hinzugekommen?
Anfänglich hatten wir es mit einer absolut tödlichen Krankheit zu tun und mussten für Akzeptanz und Toleranz unserer Lebensweisen kämpfen. Dass die eigene Lebensweise und auch Sex eine
Lebensnotwendigkeit sind, war für manche unbekannt, zumindest offiziell. Später als die Krankheit chronisch wurde, mussten wir auch dafür eintreten, dass eine Beratung für frisch Infizierte und
Langzeitkranke noch lange nötig sein werden. Wir haben das Ambulant Betreute Wohnen „Care24“ gegründet, wo Menschen, die schon lange mit HIV infiziert sind und auch andere, meist Schwerkranke,
betreut werden.
Zu den „klassischen“ Zielgruppen, also Schwule und Drogengebrauchende, kamen mit den Jahren weitere hinzu. Infizierte Frauen, Jugendliche, Migrant*innen wurden beraten und betreut. Und aus der
schon früh ins Leben gerufenen Coming-Out-Gruppe „Die Kuckuckseier“ für Jungs wurde schließlich das Jugendzentrum PULS, wo auch Mädels und Trans*personen zu ihren Themen beraten und betreut
werden.
7_ Wenn du auf 35 Jahre Aidshilfe zurückblickst, welches sind deiner Meinung nach die größten Meilensteine?
Der erste Meilenstein war natürlich die Gründung der Aidshilfe Düsseldorf selbst mit dem Ziel, bereits Infizierte zu betreuen und Nichtinfizierte aufzuklären. Später wurden dann spezielle
Bereiche für Schwule, Drogengebrauchende und Frauen ins Leben gerufen und die Aufklärung für Jugendliche etabliert. Dann wurde die chronische Krankheit immer wichtiger, die Betreuung musste
längerfristig werden. So wurde aus dem ursprünglichen Pflegedienst das Projekt Ambulantes Betreutes Wohnen „Care24“. Und seit Kurzem sind auch ein Teil vom Projekt „Altern unterm Regenbogen“.
8_ Seit Jahresbeginn kämpft die Welt mit der Corona-Pandemie. Siehst du Parallelen zur HIV/Aids-Pandemie?
Der Umgang mit den Risikogruppen ist völlig anders. Wir wurden als Todesbringer, als Perverse, als „selbst Schuld“ diskriminiert, sollten unsere Lebensweise gefälligst ändern. Bei Corona will man
die Risiko-Gruppen schützen. Vor allem die alten Menschen sollen vor jedem Risiko geschützt werden. Größte Anstrengungen werden gemacht und immense Finanzmittel eingesetzt, um die Auswirkungen
Krise abzuschwächen bzw. sie zu beenden. Es wird mit Hochdruck daran gearbeitet, eine Impfung zu entwickeln und einzusetzen. Diese positive Herangehensweise find ich sehr begrüßenswert, und ich
hätte mir eine ähnliche Vorgehensweise beim Thema HIV auch gewünscht.
9_ Im Zuge des Jubiläums wurde der Organisation eine neue Dachmarke und ein neues Logo gegeben. Wie stehst du dazu?
Die Themen unserer Organisation haben sich stark erweitert. Einige Bereiche haben originär nichts mit dem Thema Aids zu tun, auch wenn sie angrenzend sind. Deswegen wurde es nötig, eine Dachmarke
zu entwickeln, die eine Klammer um die verschiedenen Organisationen bildet. Solange ich im Vorstand tätig war, habe ich daran mitgearbeitet und begrüße das Ergebnis.
10_ Als Ehrenmitglied der Aidshilfe Düsseldorf, was wünscht du dir für Zukunft der Organisation?
In den 90ern habe ich noch gedacht, dass der schönste Tag der sein wird, an dem wir die Aidshilfe zumachen können, weil sie nicht mehr gebraucht wird. Heute wünsche ich mir, dass sie noch lange
tätig sein kann, denn sie wird noch lange für Aufklärung, Beratung und Betreuung benötigt. Sie leistet eine hervorragende Arbeit in allen Bereichen, dank der professionellen sowohl haupt- wie
ehrenamtlichen Mitarbeitenden. Dafür benötigt sie viel Geld, sowohl von der öffentlichen Hand als auch von privaten Spender*innen. Ich hoffe, keine von Ihnen lässt nach. Auf eine positive
Zukunft!
Spendenkonto der Aidshilfe Düsseldorf e.V.
IBAN DE30 3006 0601 0002 5090 08
BIC DAAEDEDDXXX
Apotheker-und Ärztebank Düsseldorf
Spendenkonto von Heartbreaker e.V. - Förderkreis der Aidshilfe Düsseldorf
IBAN DE15 3005 0110 0068 0080 02
BIC DUSSDEDDXXX
Stadtsparkasse Düsseldorf
www.heartbreaker-duesseldorf.de/unterstuetzen-sie-uns
Fragen: Oliver Erdmann