Oliver Schreiber ist Co-Vorsitzender der Düsseldorfer SPD und kandidiert bei der NRW-Wahl am 15. Mai 2022 für den Landtag. Im DQ-Interview verrät der 39-Jährige, welche queerpolitischen Themen ihm wichtig sind und was er an der LSBTIAQ*-Community in der Landeshauptstadt schätzt.
1_ Oliver, seit gut einem Jahr führst du die Düsseldorfer SPD als Vorsitzender – zusammen mit deiner Kollegin Annika Maus. Was war das beeindruckendste Ereignis für dich in dieser Zeit?
Das waren in vielfacher Hinsicht beeindruckende Monate für mich. Direkt nach unserer Wahl haben wir zum Beispiel für einige Wochen ein „Impftaxi“ an den Start gebracht. Mit rund 20 freiwilligen
Helfer*innen aus der SPD konnten wir für Senior*innen fast 70 Fahrten mit privaten Pkw zum Impfzentrum in der Arena ermöglichen. Diese Solidarität und Hilfsbereitschaft zu erleben war bewegend.
Zu meinen politischen Highlights gehört natürlich der Erfolg der SPD bei der Bundestagswahl im September. Noch sechs Wochen zuvor hatte man uns abgeschrieben. Jetzt sind wir wieder mit zwei
tollen Abgeordneten – Zanda Martens und Andreas Rimkus – in Berlin vertreten und führen die Bundesregierung.
Natürlich gehört der Angriffskrieg gegen die Ukraine zu den Ereignissen, die mich am nachhaltigsten beeindruckt haben – leider unglaublich negativ.
2_ Was hat sich seit deiner Wahl in deinem Alltag geändert?
Schon seit gut zehn Jahren macht Politik einen großen Teil meines Alltags aus. Bis 2020 war ich Mitglied im Stadtrat. Als Ratsherr hängt man sehr am Zeit- und Themenplan der Verwaltung. Als
Parteivorsitzender kann ich jetzt stärker die Themen setzen, die mir selbst am Herzen liegen. Das macht mir große Freude.
3_ Du bist in Aschaffenburg aufgewachsen und seit 2009 in Düsseldorf zu Hause. Was hat dich an den Rhein verschlagen? Und was gefällt dir besonders an der Stadt?
Aschaffenburg habe ich schon mit 19 Jahren verlassen und bin über Umwege zum Studium nach Essen gekommen. Dort habe ich auch meinen Mann Frank kennengelernt. Im Ruhrgebiet haben wir aber nie
richtig Fuß gefasst. Meine Düsseldorf-Geschichte begann dann ein wenig kitschig: Als „Touri“ habe ich an den Kasematten gesessen mit Blick auf den Rheinturm im Sonnenuntergang und gedacht:
„Was für eine Atmosphäre! In so einer Stadt willst du leben.“ Mein Mann war schnell überzeugt und den Umzug haben wir nie bereut. Düsseldorf ist so lebendig mit Kultur, Events, Gastro und
trotzdem überschaubar. Und ich liebe die Rheinländer*innen, ihre Offenheit, Geselligkeit und Herzlichkeit.
4_ Mit deinem Mann wohnst du in Flingern. Welchen Kontakt hast du zur Düsseldorfer LSBTIAQ*-Community? Wie beurteilst du die Angebote für queere Menschen jeden Alters in der Landeshauptstadt?
Düsseldorfs Stärke liegt in meinen Augen in den vielfältigen „offiziellen“ Angeboten und Einrichtungen: Die Fachstellen für Regenbogenfamilien, für trans* Personen, für Altern unterm Regenbogen,
die Aidshilfe, das PULS und zuletzt das Denkmal für geschlechtliche Vielfalt am Rheinufer. Auch der CSD ist fest etabliert und hat zum Glück einen klar politischen Charakter. Die Szene erlebe ich
dagegen als ziemlich mau. Für eine Stadt mit 640.000 Einwohner*innen gibt es zu wenige queere Kneipen, Clubs, Locations, Events und Partys. Und es ist in den letzten Jahren eher schlechter
geworden. Darum freue ich mich über Initiativen wie Lesbian Take-over oder den Verein für Schwule Subkultur.
5_ Bei der kommenden Landtagswahl am 15. Mai 2022 kandidierst du für deine Partei im Wahlkreis Düsseldorf II. Was sind deine wichtigsten Themen und Anliegen?
Ich trete dafür an, dass alle Düsseldorfer*innen von der Stärke und der Leistungsfähigkeit unserer Stadt gleichermaßen profitieren können, nicht nur einige wenige. Das beginnt beim Wohnen: Wer in
Düsseldorf lebt, muss sich hier auch eine schöne Wohnung leisten können. Wir müssen den Ausverkauf von Mietwohnungen aufhalten und viel mehr bezahlbare Wohnungen schaffen, damit Düsseldorf seine
liebenswerte Bodenständigkeit behält und nicht zum eigenen Schickimicki-Klischee mutiert.
Bildung ist mir wichtig, weil sie der Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben ist. Kompetenzen und Qualifikation können dich dorthin bringen, wo du hinmöchtest. Dieser Weg muss allen Kindern
und Jugendlichen offenstehen – egal wie viel Geld ihre Eltern verdienen oder ob ihr Name „ausländisch“ klingt. Darum will ich alle Schulen schnell ins 21. Jahrhundert holen – mit smarter Technik
und modernen Schulgebäuden - und mit mehr Zeit für Qualität im Unterricht.
Außerdem liegt mir Herzen, dass ältere Menschen nicht an den Rand gedrängt werden. Einsamkeit ist längst eine „Volkskrankheit“. Es braucht altersgerechte Wohnangebote in allen Nachbarschaften,
Besuchsdienste für kleine Hilfen oder Kaffeeklatsch, ein funktionierendes Gesundheitssystem, das die Patient*innen in den Mittelpunkt stellt und den Rechtsanspruch auf einen Pflegeplatz in der
eigenen Stadt.
6_ Wenn es um queerpolitische Landesthemen geht, haben SPD, Grüne und FDP sehr ähnliche Forderungen und Ziele. Welche Punkte im Wahlprogramm würdest du herausheben, damit das LSBTIAQ*-Wahlvolk sein Kreuz bei der SPD macht?
Wir wollen queere Kultur zu einem echten weithin sichtbaren Aushängeschild für Nordrhein-Westfalen machen und unser Land zur beliebtesten Destination der Community in
Deutschland. Dazu sollen unter anderem eine sichere Grundfinanzierung für die CSDs beitragen und ein neues queeres Kulturfestival von nationaler Bedeutung.
7_ Für welche queerpolitischen Themen möchtest du dich als Landtagsabgeordneter besonders einsetzen?
Als weißer cis-Mann in der Politik bin ich schon ziemlich privilegiert. Meine queerpolitische Aufgabe sehe ich vor allem darin, die Interessen derjenigen in den Mittelpunkt zu stellen, die noch
immer an den Rand der Gesellschaft und der Community gedrängt werden. Queere Menschen, die von trans*-Feindlichkeit und/oder Rassismus betroffen sind zum Beispiel oder Personen, die wegen einer
Behinderung, wegen Armut und/oder Alter diskriminiert sind. Ihre Anliegen müssen Sache der ganzen Community sein.
8_ In der Landeshauptstadt arbeitet das LSBTIQ+ Forum Düsseldorf gerade mit Hochdruck an der Verwirklichung eines Queeren Zentrums als Begegnungsstätte für die Community. Kennst und
unterstützt du dieses Vorhaben? Und siehst du Möglichkeiten für eine Unterstützung von Seiten des Landes?
Natürlich habe ich von der Initiative gehört. Ein queeres Zentrum wäre eine wunderbare Bereicherung für Düsseldorf. Persönlich wünsche ich mir, dass es keine weitere Beratungsstelle wird, sondern
ein Haus, dass der Vielfalt und der Kultur der Community Raum gibt und Sichtbarkeit schafft. Überall in NRW besteht Bedarf an queeren Räumen. Warum soll das Land nicht zu ihrer Finanzierung
beitragen?
9_ Mit Blick auf die aktuelle Weltpolitik und den russischen Krieg gegen die Ukraine, worin siehst du die größten Herausforderungen für NRW und für Düsseldorf?
Zunächst geht es darum, die vielen Geflüchteten zu versorgen, ein gutes Ankommen zu ermöglichen und ihnen echte Perspektiven zu eröffnen. Die ukrainischen Städte sind schon jetzt unfassbar
zerstört. Viele Menschen dürften lange, manche für immer, in NRW bleiben.
Gleichzeitig stehen in NRW gewaltige Investitionsaufgaben an, allen voran für den Klimaschutz. Um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen, bleiben gerade mal noch 7 Jahre. Wir brauchen viel mehr Tempo für
attraktiven ÖPNV, energieeffiziente Gebäude, Solarenergie von allen Dächern und Windenergie von viel mehr Orten und die Umstellung von Industrie und Produktion. Und das alles sozial verträglich,
so dass Heizen und Mobilität kein Luxus werden.
10_ Was sollte die neue Landesregierung tun, um der besonders vulnerablen Gruppe der LSBTIQ*-Geflüchteten zu helfen?
Die Diskriminierung queerer Menschen muss unzweifelhaft als Asylgrund anerkannt werden. Es darf nicht sein, dass Geflüchtete ihre queere Identität bei den Behörden erst beweisen müssen und die
Sachbearbeitung entscheidet, wer schwul, lesbisch oder trans genug ist. Ab ihrem ersten Tag in NRW müssen sie geschützt untergebracht werden. In Sammelunterkünften drohen ihnen Einschüchterung
und Gewalt. Für die Begleitung im Asylverfahren und bei der Integration sollte queersensible Beratung zur Verfügung stehen, die auch finanziert werden muss.
Fragen: Oliver Erdmann